G20-Gipfel Pittsburgh - kleiner Schritt auf einem weiten Weg

Das G20-Abschlusskommuniqué ist erschienen und kann hier (klicken!, Englisch, pdf) heruntergeladen werden. Im folgenden wird eine Analyse dieses Dokuments vorgenommen, wobei das Augenmerk besonders auf den Abschnitten zu Steuer- und Verdunkelungsoasen sowie illegalen Kapitalströmen liegt. Diese drei Bereiche werden in drei Absätzen des Dokuments behandelt: illegale Kapitalströme in der Präambel (Absatz 22) und in Absatz 42, der Bereich Steuer- und Verdunkelungsoasen in Absatz 15.

Ähnlich wie die Verkündigung des Endes der Ära des Bankgeheimnisses auf dem Londoner G20-Gipfel im April (hier klicken!) finden sich auch in diesem Gipfeldokument Passagen zu illegalen Kapitalströmen, die als bahnbrechend, als Leitmotiv und Messlatte künftiger G20-Gipfel gewertet werden dürfen. Erstmalig wird in einem offiziellen internationalen Dokument der Skandal der illegalen Kapitalabflüsse aus Entwicklungsländern ins Verhältnis zur Entwicklungshilfe gesetzt:
"Today we agreed: [...] To take new steps to increase access to food, fuel and finance among the world’s poorest while clamping down on illicit outflows." (Präambel, Absatz 22). [...]
"As we increase the flow of capital to developing countries, we also need to prevent its illicit outflow. We will work with the World Bank’s Stolen Assets Recovery (StAR) program to secure the return of stolen assets to developing countries, and support other efforts to stem illicit outflows. [...]" (Absatz 42).
Damit gelangt die Argumentation und Forschung von Global Financial Integrity (pdf) und des Tax Justice Network in das Zentrum entwicklungspolitischer Aufmerksamkeit. Wie TJN und dessen Partner nicht müde werden zu betonen verlassen ein Entwicklungsland unter dem Tisch durchschnittlich 10 US-Dollar an illegalen Kapitalströmen in Richtung westlicher Welt für jeden US-Dollar an Entwicklungshilfe den das Entwicklungsland erhält.
Unterstützt und ermöglicht wird dieser Prozess von Steuer- und Verdunkelungsoasen. Das Tax Justice Network wird in wenigen Tagen unter www.secrecyjurisdictions.com die Ergebnisse eines 18-monatigen Forschungsvorhabens darüber vorstellen und die Mechanik der illegalen Kapitalströme offenlegen.

Steuerangelegenheiten

Im April haben wir an dieser Stelle (hier klicken!) über die Ergebnisse des G20-Gipels in London berichtet und festgestellt, dass die Gipfelergebnisse einige begrüßenswerte Punkte und Absichtserklärungen zu Steuerfragen enthalten, es aber noch an konkreten Maßnahmen mangelt, um Entwicklungsländer an möglichen Verbesserungen der Steuerkooperation teilhaben zu lassen. Außerdem fehlte es an klaren Vorgaben, um die Steuer-"Standards" grundlegend zu überarbeiten. Lesen Sie im Vergleich dazu nun den aktuellen Absatz aus dem G20-Dokument von gestern:
"Our commitment to fight non-cooperative jurisdictions (NCJs) has produced impressive results. We are committed to maintain the momentum in dealing with tax havens, money laundering, proceeds of corruption, terrorist financing, and prudential standards. We welcome the expansion of the Global Forum on Transparency and Exchange of Information, including the participation of developing countries, and welcome the agreement to deliver an effective program of peer review. The main focus of the Forum’s work will be to improve tax transparency and exchange of information so that countries can fully enforce their tax laws to protect their tax base. We stand ready to use countermeasures against tax havens from March 2010. We welcome the progress made by the Financial Action Task Force (FATF) in the fight against money laundering and terrorist financing and call upon the FATF to issue a public list of high risk jurisdictions by February 2010. We call on the FSB to report progress to address NCJs with regards to international cooperation and information exchange in November 2009 and to initiate a peer review process by February 2010." (Absatz 15).
An diesen beiden Mängeln hat sich leider wenig geändert. Im Gegenteil - der im London-Dokument noch enthaltene, wenn auch sachte Bezug zu den Vereinten Nationen als zuständige Organisation für erneuerte Steuerstandards ist verschwunden (Absatz 15). Stattdessen wird das Global Forum on Taxation der OECD genannt und vage die "Erweiterung des Global Forum on Taxation und der Einbezug von Entwicklungsländern" begrüßt.

Letzteres muss leider als eine leere Floskel gelten, denn eine wesentliche Ausweitung des Global Forum hat es in den letzten Monaten nicht gegeben. Das kann daran liegen, dass als Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Gegenzug von interessierten Entwicklungsländern Zugeständnisse erwartet werden könnten, beispielsweise ein Versprechen deren Kapitalmärkte schrittweise nach außen zu öffnen (OECD Codes of Liberalisation and of Current Invisible Operations). Solcherlei Zugeständnisse können fatale Konsequenzen für das jeweilige Entwicklungsland haben.

Die Beitrittskriterien zum Global Forum der OECD sind nicht transparent und es ist zu erwarten, dass die momentanen OECD-Mitglieder diesen Schleier der Intransparenz für alle erdenklichen Arten von Kuhhandel ausnutzen. Solche Geheimverhandlungen im Herzen des für mehr Steuertransparenz zuständigen Global Forum sind inakzeptabel und unterstreichen die mangelnde Legitimität des Global Forum on Taxation.

In einem zweiten Schritt wird im oben zitierten Abschnitt begrüßt, dass das Global Forum ein Überprüfungsverfahren zur Einhaltung dieser Standards erarbeitet. Das ist zwar in der Tat nötig, gleichzeitig aber wirkungslos, wenn die Standards selbst nicht gründlich überarbeitet und international abgestimmt werden (für mehr Hintergrund bitte hier klicken, Englisch, pdf; das TJN-G20-Positionspapier können sie hier auf deutsch lesen, pdf). Davon ist, wie erwähnt, leider keine Rede mehr - zumindest nicht spezifisch für Steuerangelegenheiten (siehe unten).

Der Kampf gegen Steuer- und Verdunkelungsoasen wird mit der Arbeit der Financial Action Task Force, des Financial Stability Boards, und des Global Forum in Zusammenhang gesetzt (Absatz 15). Neben der inzwischen beinahe durchgängig weißen "grauen Liste" (OECD-pdf; für Hintergrund hier klicken!) der OECD soll es im Februar 2010 eine neue schwarze Liste der FATF geben und als Termin für Sanktionen gegen Steueroasen wird März 2010 genannt.

Finanzmarktstabilität


Das neu geschaffene Financial Stability Board soll im Februar ein Überprüfungsverfahren (peer review) beginnen, so dass kaum zu erwarten ist dass deren Ergebnisse bzw. "schwarze Liste" für die Auswahl der Adressaten einer ersten Welle von Sanktionen relevant sein werden. Das nimmt auch kaum Wunder, sind doch die bisherigen Standards für Finanzmarktregulierung des Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, der International Organization of Securities Commissions (IOSCO) und der International Association of Insurance Supervisors (IAIS) nicht unbedingt erfolgreich bei der Gewährleistung von Finanzmarktstabilität gewesen. Es muss ordentlich nachgebessert und erst noch ein neuer Rahmen an Finanzmarkt-Standards entwickelt werden. Außerdem ähnelten die Überprüfungen der Einhaltung dieser schwachen Standards bisher eher Gefälligkeitsübungen als echten, kritischen Beurteilungen.

Interessant ist der Halbsatz, dass das FSB besonders in den Bereichen "Internationale Kooperation und Informationsaustausch" zukünftig prüfen solle - diese Formulierung scheint zumindest nicht auszuschließen, dass hier über die schwachen OECD-"Standards" des Global Forum hinaus Standards etabliert werden, die auch für den fiskalischen Bereich an Bedeutung sein könnten. Wie sich dies allerdings mit der Mitgliedschaft notorischer Steuer -und Verdunkelungsoasen im FSB wie etwa der Schweiz, Hong Kong und Singapur verträgt, bleibt abzuwarten.

Geldwäsche

Im Bereich der Geldwäsche schließlich wird die FATF beauftragt, die Standards zu Sorgfaltserfordernissen bei der Identifizierung von Bankkunden sowie die Standards zu den wirtschaftlichen Eigentümern von juristischen Personen zu stärken (Para 42). Ganz nachvollziehbar scheint dies nicht, denn die FATF hat bereits recht hohe Standards in diesen Bereichen entwickelt, wenngleich die Einhaltung durch die Staatengemeinschaft bislang äußerst dürftig ist (wie die Überprüfungen durch die FATF regelmäßig bestätigen).

Vermischtes

Was die übrigen Gipfelergebnisse angeht so gibt es einige Neuerungen die Verbesserungen darstellen. Ganz allgemein: die G7/G8 sind Geschichte - unterhalb der G20 wird es keine Club-Ambitionen mehr geben. Diese Vereinbarung lässt zwar immernoch viele außen vor, aber mit Ländern Argentinien, Brasilien, China, Indien und Mexico sind nun Entwicklungsländer (bzw. Kapitalimporteure) wenigstens unabänderlich vertreten. In Absatz 50 wird die G20 als das nunmehr höchte Forum für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgerufen.

Was dies genau bedeutet bleibt überraschend wenig im Dunkeln. Bemerkenswert scheint es, dass die G20 in den Absätzen 5-8 einem gegenseitigem Überprüfungsverfahren zustimmen (peer review), das mit Unterstützung des IWF durchgeführt werden soll und die Wirtschafts- und Finanzpolitiken auf die Einhaltung deren Nachhaltigkeit und verabredeter Zielvorgaben hin überprüfen soll. Darin steckt das Eingeständnis, dass die bisherigen Wachstums- und Entwicklungspfade in den G20 Staaten nicht nachhaltig und gleichgewichtig waren.
Diese Passagen hören sich stark nach einem Weltwirtschaftsrat an, der zwar eigentlich unter das Dach der UN gehört, aber auch in dieser Konstellation der G20 mit über 80% des Welthandels effektiv werden könnte. Was an UN-Bindung noch nicht ist könnte ja noch werden.

Ebenfalls begrüßenswert scheint es dass sich Deutschland endlich mit seinem "Exportweltmeister"-Modell nicht mehr als Wohltäter der Welt präsentieren kann, sondern sich an die eigene Nase fassen muss: der deutsche gigantische Exportüberschuss ist nicht nachhaltig weil er enorme Ungleichgewichte anderswo zur Folge hat. Das bringt eine Ganzheitlichkeit in die Diskussion um eine neue globale Finanz-, Handels-, und Währungsarchitektur, die notwendig ist um diese Diskussionen letztlich in dem Streben nach Gerechtigkeit zu verankern.

Neben den akuten Ungleichgewichten zu denen der Exportüberschuss Deutschlands in Ländern wie den USA oder der Turkei beiträgt ist es wichtig zu verstehen, dass eine einseitige Exportorientierung der deutschen Wirtschaft unseelig davon abhängig ist, neue Märkte zu erschließen und Handelshindernisse anderswo, meist in ärmeren Staaten, abzureißen. In der Regel geschieht dies ohne Blick auf die Kosten und Verluste in diesen Ländern und unter Anwendung des gesamten Spektrums politischer Machtausübung. Deutschlands Exportorientierung muss leider bisher als Ursache Nummer eins für die expansiven Forderungen in der gemeinsamen, europäischen Außenwirtschaftspolitik gelten - ganz konkret in der WTO und der sogenannten Doha-Verhandlungsrunde sowie den europäsichen AKP-Partnerschaftsabkommen.

Was Bonizahlungen angeht ist es traurig zu sehen, dass die Koppelung an kurzfristigem shareholder value, dem Aktienkurs, als Lösung, nicht als Problem angesehen wird. Ein Trend zu zerstörerischem Kurzfristdenken scheint so nur international zementiert zu werden. Aber auch hierhin sollte das Eingeständis reichen, dass dieser Schritt allemal besser ist als keinerlei Einschränkungen der Bonizahlungen.

Ein weiterer kleiner Bonus des Gipfel-Ergebnisses sind minimale Veränderungen der Stimmrechte bei IWF und Weltbank. 3% der Stimmrechte in der Weltbank sollen zugunsten von Entwicklungsländern umverteilt werden, das gleiche gilt für rund 5% der Stimmrechte im IWF: es sind peanuts, aber mehr als gar nichts. Wer freilich lange Jahre (aus guten Gründen!) für einen Radikalumbau dieser Wirtschaftsdinosaurier gestritten hat kann kaum mit dieser Lösung zufrieden sein. Deutlich mehr muss sich an der Machtverteilung in diesen Organisationen noch ändern bevor sie legitime Entscheidungen treffen können. Ferner bleibt abzuwarten bis wann diese Stimmrechtsveränderungen tatsächlich vorgenommen werden.

Beim Klimaschutz leider scheinen die Kommuniqué-Bestandteile am schwammigsten zu sein (Para 28-33). Andererseits ist mit Kopenhagen bereits ein internationaler Prozess speziell mit diesem Anliegen betraut und vielleicht ist es darum auch nicht Aufgabe dieses Gipfels, klimapolitische Nägel mit Köpfen zu machen.

Zivilgesellschaft

Von der Zivilgesellschaft ist im Kommuniqué allerdings an keiner Stelle die Rede. Die Mächtigen der Welt wünschen offenbar nach wie vor unter sich zu bleiben.

Die tatsächliche Umsetzung der vielen hehren Versprechen und Absichtserklärungen von Pittsburgh wird von der wachsamen Beobachtung durch eben diese Zivilgesellschaft abhängen. Dass die hoffnungsvoll stimmende Botschaft von Pittsburgh auch Früchte trägt ist Berufung, harte Arbeit und in der Verantwortung der Zivilgesellschaft. Wenn Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften, Globalisierungskritiker und Kirchen unisono mit WissenschaftlerInnen aus aller Welt an einem Strang ziehen, werden sich auch Berge jahrhundertealter Ungerechtigkeit versetzen lassen. Wir Menschen haben diese Strukturen geschaffen und wir können sie auch beseitigen - um der Würde des Menschen willen.

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