Mal die Brille wechseln

***Dieser Artikel erschien erstmals im Freitag***

Das größte Finanzproblem in der EU ist nicht die Schuldenkrise. Es ist die ungerechte Steuerpolitik. Konzerne profitieren, während die Bürger das Nachsehen haben.

Von einem Schuldenschnitt sprach Alexis Tsipras in seiner ersten Regierungserklärung nur am Rande. Sein eigentliches Thema waren die Zustände im eigenen Land, und dafür fand er harte Worte: „Steuergerechtigkeit ist ein Wort, das in Griechenland niemand kennt, und das verfassungsrechtlich verankerte Gebot angemessener Besteuerung war bisher nichts als ein leeres Wort.“ Tsipras kündigte an, dass seine Regierung Steuerhinterziehung bekämpfen und Steuererleichterungen streichen werde, denn vor allem sie hätten das Land an den Rand des Abgrunds geführt. Da liegt Tsipras richtig: Im Kern muss es darum gehen, das Steuersystem neu zu strukturieren. Diese Reform ist die Voraussetzung für den Wachstumsschub, den die Wirtschaft des Landes braucht. Fatal ist dabei allerdings, dass vor allem die deutsche, aber auch die anderen EU-Regierungen weiter auf ihrem destruktiven Austeritätskurs bestehen, statt anzuerkennen, dass es besser wäre, den Fokus endlich zu wechseln.

Tatsache ist aber auch: Alleine wird Griechenland wenig Erfolg haben. Die Europäische Union muss sich insgesamt ändern. In den vergangenen Jahrzehnten hat sie die Zahlungsströme innerhalb von EU-Konzernen freigegeben, ohne parallel die Besteuerung zu sichern. Außerdem verhindert der Europäische Gerichtshof mit seiner Rechtsprechung die Anwendung nationaler Gesetze gegen Briefkastenfirmen. Das bereitete den Boden für Steueroasen wie den Niederlanden oder Luxemburg. Den Preis zahlen insbesondere die Krisenstaaten der EU, deren Konzerne die Oasen nutzen, um Steuern zu sparen.

Doch eine Abkehr von dieser fatalen Steuerpolitik ist nicht absehbar. Als im September 2014 OECD und G20 die Zwischenergebnisse ihrer Arbeit gegen Steuervermeidung von Unternehmen veröffentlichten, da gestanden sie ein, bei den besonders schädlichen Niedrigsteuersätzen für Patente und Lizenzen keine Einigung erzielt zu haben. Vier EU-Staaten sollen dies verhindert haben, darunter die Niederlande und Luxemburg. In Den Haag ist der amtierende Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem Finanzminister, und im Großherzogtum hat der heutige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jahrelang als Ministerpräsident regiert. Beide haben zu verantworten, dass ihre Staaten mit Steuergeschenken an Private und Konzerne anderen Ländern massiv geschadet haben und es bis heute tun. Aber die Verantwortlichen für jenen teils illegalen Steuerwettbewerb entscheiden heute mit über Griechenlands Schicksal. Dijsselbloem und Juncker verkörpern die Scheinheiligkeit europäischer Politik. Zwar hat Juncker auf EU-Ebene unter dem Druck der Enthüllungen über die Luxemburger Praktiken politische Zugeständnisse gemacht. Nun will er plötzlich die Unternehmenssteuern harmonisieren und Informationen über Steuerabsprachen austauschen. Doch das sind nur kosmetische Korrekturen. Bei diesem Thema fehlt Juncker jede Glaubwürdigkeit.

Lasche EU-Staaten

Fortschritte wie der bei der Bekämpfung von Steuerbetrug durch Privatpersonen können nur der Anfang sein: Die Mogelei soll bald durch einen automatischen Informationsaustausch zu allen Kapitaleinkommen innerhalb der EU erschwert werden. Wie lasch einige EU-Staaten bisher mit Steuerbetrug umgehen, beweisen die Enthüllungen über die HSBC-Bank: Erst unter massivem öffentlichen Druck wollen sie die bloßgestellten Steuerbetrüger zur Rechenschaft ziehen. Dabei zeigt der Skandal ebenso wie die gegenwärtige Kapitalflucht aus Griechenland: Europa muss den absolut freien Kapitalverkehr einschränken und braucht dafür grundsätzlich auch Kapitalverkehrskontrollen.

Der größte Handlungsbedarf besteht aber bei der angemessenen Besteuerung von großen Vermögen und hohen Einkommen, hier besteht eine enorme Gerechtigkeitslücke. Der Abbau von Vermögenssteuern und Spitzensteuersätzen in den vergangenen Jahrzehnten ist noch immer nicht gestoppt, obwohl die Schonung der Vermögenden die Demokratie und den sozialen Frieden untergräbt. Mit dem Versprechen einer anderen Politik hat Syriza kürzlich eine Wahl gewonnen. Derweil kassiert SPD-Chef Sigmar Gabriel die Pläne seiner Partei für eine Vermögenssteuer. Aus Griechenland hat er nichts gelernt.

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