Steuerbetrug und Ungleichheit - Arbeitspapier bestätigt stärkere Hinterziehung durch Reiche

Ein Gastbeitrag von Hannes Fauser, Doktorand im Promotionskolleg "Steuer- und Sozialpolitik bei wachsender Ungleichheit", Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Freie Universität Berlin

Reiche Haushalte hinterziehen mehr Steuern und vermehren ihre Vermögen so noch schneller als ohnehin – diese wenig überraschende Hypothese bestätigen Annette Alstadsaeter, Niels Johannesen und Gabriel Zucman nun erstmals empirisch anhand von Daten aus Skandinavien. Ihr jüngst veröffentlichtes Working Paper „Tax evasion and Inequality“ verknüpft einen Schatz von Daten aus Steuerprüfungen, Datenleaks und Selbstanzeigen mit administrativen Erhebungen der Bevölkerungen Dänemarks, Norwegens und Schwedens. Das Ziel ist nicht zuletzt, die mit Steuerdaten geschätzten Verteilungen von Einkommen und Vermögen zu korrigieren; denn bekanntlich sind diese Maße durch Steuerhinterziehung verzerrt. Schließlich können Forscher*innen die tatsächlichen Verteilungen schlechter bestimmen, wenn ein großer Teil insbesondere großer Vermögen vor dem Fiskus und damit der Steuerstatistik verborgen bleibt. Mit dem neuen Ansatz der Verknüpfung administrativer Mikrodaten mit Fällen erwischter Hinterziehung, und Makrodaten zur Höhe der Offshore-Vermögen insgesamt, entsteht eine bisher einzigartige Studie, die wegweisend für die weitere Forschung über Steuerhinterziehung/vermeidung und Ungleichheit(smessung) sein dürfte.

Wie die Autor*innen vorgehen

Zunächst nutzen Alstadsaeter et al. hochwertige administrative Mikrodaten zum Vermögen in Dänemark, Norwegen und Schweden und korrigieren diese um einige fehlende Bestandteile, etwa Pensionsvermögen. Die so konstruierte skandinavische Vermögensverteilung lässt sich mit der anderer wohlhabender Nationen vergleichen. Wenig überraschend sind die Verhältnisse in Skandinavien wesentlich gleicher als in den USA: Bei ähnlichem Durchschnittsvermögen sind die reichsten 0,1% der Skandinavier*innen halb so reich, und die mittleren Haushalte (zwischen dem 50. und dem 90. Perzentil) doppelt so reich wie ihre US-amerikanischen Pendants.

Anschließend fügen die Autor*innen dem Datensatz Erkenntnisse aus drei Quellen hinzu: HSBC Swiss Leaks, Panama Papers und Steueramnestien. Die 2015 veröffentlichten Swiss Leaks gehen auf die von Hervé Falciani 2008 an die französischen Behörden übergebenen Kontodaten der Schweizer Tochter der britischen Großbank HSBC zurück. Diese gelangten via Le Monde und das investigative Journalist*innenkonsortium ICIJ auch in die Forschung. Da die Bank den letztendlich Begünstigten ihrer Konten pflichtgemäß vermerkt hatte, auch wenn Briefkastenfirmen etc. dazwischengeschaltet waren, ließen sich die Daten mit skandinavischen Steuerpflichtigen abgleichen. Für das Jahr 2006 stehen somit Beobachtungen für 520 Haushalte zur Verfügung, die weit überwiegend zu den reichsten 1% ihrer Gesellschaften gehören. Innerhalb dieser Gruppe ist die Disparität ebenfalls hoch: Für die reichsten 0,1% in der Stichprobe, was 2006 einem Nettovermögen von mehr als 44,5 Mio US-Dollar entsprach, lag die Wahrscheinlichkeit Steuern mithilfe der HSBC zu hinterziehen bei einem Prozent - dreizehn mal höher als bei Haushalten vom 99. bis zum 99,5ten Perzentil (also der „ärmeren“ Hälfte des reichsten 1%).

Die Daten aus den Panama Papers stammen aus Enthüllungen über Kund*innen der panamaischen Anwaltsfirma Mossack Fonseca, die im April 2016 veröffentlicht wurden. Die Stichprobengröße ist mit 165 Beobachtungen hier leider wesentlich kleiner, da Dänemark ausgenommen ist und sich viele Briefkastengesellschaften nicht einem wirtschaftlich Begünstigten zuordnen lassen. Trotzdem bestätigen auch die so gewonnen Daten, dass der Gebrauch von Offshore-Firmen mit zunehmendem Reichtum stark ansteigt.

Die letzte und statistisch bedeutendste Quelle sind Steueramnestien bzw. Selbstanzeigen. Die Stichprobe enthält rund 1.400 Beobachtungen für Norwegen, und rund 6.800 für Schweden, für Jahre ab 2006. Aufgrund von verstärktem internationalen Steuerinformationsaustausch, aber auch von Skandalen und gezielten Fahndungsprogrammen, stieg die Zahl der registrierten Fälle ab 2009 stark an. Verglichen mit dem HSBC Leak sind hier „ärmere“ Haushalte vom 95. bis zum 99,5ten Perzentil stärker vertreten – Haushalte mit Nettovermögen zwischen 1 und 3 Mio. US-Dollar – als solche des reichsten 0,1%. Gleichwohl nutzen ganze 14% der Superreichsten 0,01% in Schweden und Norwegen die Amnestiegesetze, um sich steuerehrlich zu machen.

Im nächsten Schritt vergleichen Alstadsaeter et al. diese Mikrodaten mit Makroschätzungen zum Offshore-Vermögen, die wiederum hauptsächlich auf Arbeiten von Zucman (2013, 2015) zurückgehen. Datenquellen dafür sind Zentralbanken von Schattenfinanzplätzen, zuvorderst der Schweiz, von denen einige detaillierte Angaben zu den in dortigen Banken für Ausländer*innen gehaltenen Bankeinlagen, Anleihen, Aktien, Fondsanteilen usw. veröffentlichen. Viele Steueroasen veröffentlichen zudem Daten über Bankeinlagen im Rahmen von Statistiken der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, allerdings leider nicht zu den quantitativ bedeutenderen Portfolio-Investitionen. Gemäß der von Zucman (2013) ausgearbeiteten Methodik lässt sich anhand von Anomalien in globalen Investmentstatistiken zudem der Anteil des weltweiten Finanzvermögens schätzen, der offshore versteckt wird (näheres dazu siehe hier).

Die Autor*innen bestimmen mithilfe von Daten aus der Schweiz und anderen wichtigen Offshore-Finanzzentren anschließend den Anteil dieser Makroaggregate, der den drei betrachteten skandinavischen Ländern zugeordnet werden kann. Die Bürger*innen dieser Staaten nutzen Schattenfinanzplätze seltener; der Anteil ihres dort gebunkerten Reichtums entspricht nur rund der Hälfte des Weltdurchschnitts. Die so ermittelten Offshore-Vermögen werden dann anhand der zuvor aus HSBC, Panama Papers und Amnestien geschätzten Vermögensverteilungen auf die Haushalte der skandinavischen Staaten verteilt. Fast 80% der Offshore-Vermögen gehören den reichsten 0,1% - wesentlich mehr als bei Onshore-Vermögen, wo es rund 6% sind. Darüber hinaus schätzen die Autor*innen auch die entgangenen Steuereinnahmen. Demnach hinterzogen die reichsten 0,01% mindestens 10%, möglicherweise aber bis zu 60% ihrer geschuldeten Steuern.

Um die Breite des Phänomens Steuerhinterziehung abzudecken, analysieren Alstadsaeter et al. außerdem Zufallsprüfungen der dänischen Steuerbehörden, die allerdings die reichsten Perzentile ungenügend abdecken. Insbesondere erfassen sie keine Offshore-Steuerhinterziehung. Gleichwohl finden auch diese Prüfungen erhebliches Fehlverhalten; immerhin 30% der reichsten 5%, die von den Behörden überprüft wurden, hinterzogen Steuern. Der Umfang war aber begrenzt und betrug maximal 5% der geschuldeten Steuern.

Die Hauptergebnisse

Die Studie ermöglicht die Analyse von Steuerhinterziehung im bisher kaum erforschten Topvermögensbereich, in Vermögensklassen zwischen von 3, 10, 20 und 40 Mio. US-Dollar sowie darüber hinaus. Die Wahrscheinlichkeit Steuern zu hinterziehen steigt stark, kontinuierlich und signifikant mit dem Vermögen an.


Alstadsaeter et al. (2017, S. 36)

Für Norwegen können die Autor*innen zudem die vorhandenen hochwertigen Schätzungen zur Vermögensverteilung um den vermutlich offshore versteckten Betrag ergänzen.

Quelle: Alstadsaeter et al. (2017, S. 40)

Politische Schlussfolgerungen

Neben einer theoretischen Modellierung des Angebots an Steuerhinterziehung durch Vermögensdienstleister, untersuchen Alstadsaeter et al. nicht zuletzt auch das mögliche Ausweichverhalten von erwischten bzw. reuigen Steuerbetrüger*innen. So wäre es denkbar, dass diese von illegalen Praktiken auf (zumindest juristisch) legale Vermeidung umsteigen. Dafür sehen die Autor*innen allerdings anhand einer weiteren Regressionsanalyse der norwegischen Fälle keine Anhaltspunkte. Vielmehr führten die Amnestiefälle zu einem permanenten Anstieg des Steueraufkommens.

Spätestens damit kommt die Frage auf, inwiefern die neuen Erkenntnisse nützlich für den Kampf um mehr Steuergerechtigkeit sind. Offensichtlich zeigt die Untersuchung empirisch, was viele intuitiv oder anekdotisch bereits vermuteten: Steuerhinterziehung, Schattenfinanzplätze, Intransparenz begünstigen vor allem die ohnehin wohlhabenden Teile von Gesellschaften. Ein effektiverer Steuervollzug bei den Topverdienenden- und vermögenden, der kommende internationale Informationsaustausch und seine Ausweitung, und viele weitere von der Bewegung für mehr Steuergerechtigkeit voran gebrachte Maßnahmen helfen den Staaten nicht nur, öffentliche Güter bereitzustellen. Sie leisten auch einen Beitrag dazu, die auseinanderdriftenden Gesellschaften weniger ungleich und damit stabiler und demokratischer zu gestalten.

Aus Sicht der Forschung bleibt zu hoffen, dass vergleichbare (Mikro-)Daten aus Deutschland auch endlich der Wissenschaft zugänglich gemacht werden. Als Ergänzung zur Einkommensteuerstatistik wäre etwa eine gesonderte Erhebung der Fälle von Selbstanzeigen seit Beginn der Steuer-CD-Ankäufe durch den Fiskus denkbar, und könnte wichtige Erkenntnisse zur Höhe hinterzogener Vermögen und Einkommen und deren Einfluss auf die jeweiligen Verteilungen liefern. Allein in NRW sind hier z.B. seit 2010 mehr als 23.000 Fälle angefallen, die näher ausgewertet werden könnten.


Literatur:

Alstadsaeter, A. & Johannesen, N. & Zucman, G. (2017): „Tax Evasion and Inequality“, Working Paper, verfügbar unter http://gabriel-zucman.eu/files/AJZ2017.pdf

Zucman, G. (2013): „The missing wealth of nations: are Europe and the U.S. net debtors or net creditors?“, Quarterly Journal of Economics 128(3), S. 1321–1364.

Zucman, G. (2015): The Hidden Wealth of Nations, University of Chicago Press.

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