Illegale staatliche Beihilfen durch „tax rulings“ sind in manchen Bundesländern Deutschlands nicht auszuschließen

Sprechzettel von Markus Meinzer zum nicht-öffentlichen Fachgespräch im Finanzausschuss des deutschen Bundestages zu „Tax Rulings“, am 11. November 2015

1. Die EU-Kommission entschied im Oktober 2015 (vor drei Wochen), dass zwei tax rulings Luxemburger und niederländischer Steuerbehörden als illegale staatliche Beihilfe nach Art 107(1) des Vertrags über die Arbeitsweise der EU einzustufen seien. Diese konkreten Tax Rulings wurden aller Wahrscheinlichkeit nach auf einen Antrag von Wirtschaftsprüfungskanzleien hin erteilt. Die Wirtschaftsprüfungskanzleien wiederum verkauften diese Tax Rulings im großen Stil als Teil von angeblich legalen Steuersparpaketen. Bei Luxemburg Leaks wurden im November 2014 allein von PwC über 500 solcher Steuersparpakete inklusive rulings bekannt, die an über 300 Firmen vergeben wurden. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden viele dieser rulings ebenfalls als illegale staatliche Beihilfe eingestuft, wenn sie gründlich untersucht würden.

PwC hat Anzeige erstattet und die Luxemburger Justiz hat ein Strafverfahren gegen Antoine Deltour, Ex-Mitarbeiter von PwC und Hinweisgeber der Luxemburg Leaks, eingeleitet. Daneben wird auch ein Journalist strafrechtlich verfolgt, der Deltour bei der Veröffentlichung all dieser - aller Wahrscheinlichkeit nach illegalen Praktiken - geholfen haben soll.

Dennoch ist heute PwC hier als Experte eingeladen. Vor dem eben geschilderten Hintergrund verwundert mich, dass PwC als neutraler Experte geladen ist, und dieser Firma also noch immer ein prominentes Mitspracherecht im deutschen Gesetzgebungs- und Meinungsbildungsprozess eingeräumt wird. In anderen Parlamenten der EU gab es längst Untersuchungsausschüsse, bei denen PwC und andere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in etwas anderer Rolle auftreten mussten. Wollen Sie, verehrte Damen und Herren des Finanzausschusses des deutschen Bundestages, wirklich so weiter machen wie bisher, so tun als ob nichts gewesen wäre, Augen und Ohren vor Unrecht verschließen?

2. Seit 1977 gibt es eine Verpflichtung zum spontanen Informationsaustausch gemäß Art. 4 der EU-Amtshilferichtlinie (799). Wortwörtlich steht in Absatz 1 eine Auskunftspflicht: „wenn die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats Gründe für die Vermutung einer Steuerverkürzung in dem anderen Mitgliedstaat hat“. Ob diese Pflicht missachtet wurde, muss natürlich im Einzelfall geprüft werden. Dass ein Rechtsbruch aber zumindest in jenen Fällen vorliegt, wo Tax Rulings als illegale staatliche Beihilfe bewertet werden, liegt sehr nahe.

3. Das wirft die Frage auf, a) ob auch in Deutschland diese oder ähnliche Mitteilungspflichten missachtet wurden, und b) ob auch in Deutschland steuerliche Sondervereinbarungen getroffen wurden, deren Ergebnisse als illegale staatliche Beihilfe einzustufen sein könnten.

4. Was die erste Frage betrifft: Wie ich in meiner schriftlichen Stellungnahme ausführe, gibt es eindeutige Hinweise darauf, dass innerdeutsch geltende Mitteilungs- bzw. Informationspflichten seitens der Finanzbehörden zumindest mancher Bundesländer regelmäßig missachtet, und innerdeutsches Recht so gebrochen wird.

5. Laut einem rechtsverbindlichen Merkblatt des BMF aus dem Jahr 2006 (Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen) ist das Bundeszentralamt zwingend bei der „Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen (APA, §5 Abs. 1 Nr. 5 FVG) einzubinden, also in Kenntnis zu setzen. Eine weitere grundsätzliche Möglichkeit, Verrechnungspreisfragen in Einzelfällen zwischen Steuerbehörden und Unternehmen so zu behandeln, dass eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Das BMF-Merkblatt hat als verbindliche Spezialregelung Vorrang.

6. Dennoch steht in der Beraterliteratur klipp und klar, dass auch durch eine Tatsächliche Vereinbarung (TV) in Kombination mit einer VZ (§204-207 AO), regelmäßig Verrechnungspreissachverhalte mit Zukunftswirkung behandelt würden. Mehr noch, es ist sogar möglich, die Tatsachen den Rechtsfolgen anzupassen: Ich zitiere aus der Feder eines prominenten Fachbuchs eines Partners von Flick Gocke Schaumburg:
„Im Bereich der Verrechnungspreise ist es regelmäßig ohne weiteres möglich, die in Rede stehenden steuerlichen Rechtsfolgen durch Einigung auf entsprechende Tatsachen zu justieren.“ (Hendricks 2014, S. 1303).
Man kann hier also offenbar mit der deutschen Finanzverwaltung vereinbaren, dass eine gewisse Rechtsfolge einzutreten habe – ich spekuliere hier: zum Beispiel eine Steuerquote von X Prozent am Ende unter Strich zu verzeichnen sei oder eine Steuerzahlung von mindestens X Euro – und man dann die Tatsachen – also die Verrechnungspreise, entsprechend justiert.

7. Zur zweiten Frage also, danach ob durch steuerliche Vereinbarungen (TV & VZ) auch in Deutschland im Rahmen von Betriebsprüfungen auch Vorteile jenseits des rechtlich zulässigen gewährt wurden, und also illegale staatliche Beihilfe gewährt wurde, kann ich keinen Beleg vorweisen. Die Tatsache jedoch, dass manche Bundesländer offensichtlich durch Personalnot besonders in den Prüfungsdiensten Standortpolitik und Steuerkrieg durch die Hintertür führen, legt den Schluss nahe, dass auch die rechtswidrig ungemeldeten steuerlichen Vereinbarungen als Waffen in diesem Steuerkrieg angewandt werden, und zu solchen illegalen Beihilfen missbraucht werden.

8. Dieser Schluss wird ferner durch zwei in meiner Stellungnahme dokumentierte Fälle gestützt, bei denen Steuerabteilungsleiter insgesamt dreier Bundesländer jeweils dergestalt in die Steuererhebung und –verwaltung, in die Betriebsprüfung, eingegriffen haben, dass zwei Unternehmen widerrechtliche Steuervorteile gewährt wurden. In einem Fall handelte es sich um eine ausländische Unternehmensgruppe.

9. Wenn Sie die Aufklärung dieser Fragen vorantreiben wollen, dann gibt es – neben der Ausweitung des Mandats und rechtlichen Status des TAXE-Ausschusses auf EU-Ebene, einen einzigen zielführenden Weg:
Die Richtlinie über Aktionärsrechte, die gegenwärtig in den Trialogverhandlungen der EU vom Rat behandelt wird, enthält verpflichtende länderspezifische Berichtspflichten für Unternehmen aller Wirtschaftssektoren. Für den Bankensektor gibt es diese bereits.

Nur durch solche öffentlichen Berichtspflichten kann das verloren gegangene Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung und Demokratie wieder gewonnen werden. Denn nur so wird es möglich sein, unabhängig zu überprüfen, ob Unternehmen rechtswidrig Steuergeschenke erhalten, oder nicht.

10. Das deutsche, SPD-geführte Justizministerium kündigte in einem ersten Treffen des EU-Ministerrats im September 2015 Widerstand gegen just diese öffentlichen Berichtspflichten an, und führte die Koalition der Unwilligen damit an.

Im Gegensatz dazu befürworten die meisten Konzernlenker weltweit die Einführung solcher öffentlicher Berichtspflichten. In einer Umfrage von PwC aus dem Jahr 2014 geben 59% der weltweit befragten (weit über 1000) Konzernlenker an, dass sie solche öffentlichen länderspezifischen Berichtspflichten von Unternehmen befürworten

Warum, frage ich Sie besonders als Abgeordnete der SPD und CDU/CSU Fraktion, und Sie als Regierungsbeamte, positionieren Sie sich dann dagegen?

Hintergründe und Quellen für diesen Redebeitrag befinden sich im elektronischen Anhang des Buches Steueroase Deutschland.

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