Steuerfreie Übertragung von Großunternehmen weiterhin möglich

Ein Beitrag von Ralf Krämer, ver.di Bereich Wirtschaftspolitik

Blamabler „Kompromiss“ zur Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer

Im Dezember 2014 hat das Bundesverfassungsgericht zum mittlerweile dritten Mal nach 1995 und 2006 das jeweils geltende Erbschaftsteuergesetz wegen übermäßiger Begünstigungen von Erben großer Grundvermögen oder Betriebsvermögen für in diesen Teilen verfassungswidrig erklärt. Bemängelt wurde insbesondere, dass auch die Erben großer und größter Unternehmensvermögen ohne jegliche Bedürfnisprüfung weitgehend steuerfrei gestellt wurden, dass bei Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten keinerlei Arbeitsplatzerhaltungskriterien angelegt wurden, und dass bis zu 50 Prozent des Gesamtwerts auch nicht betriebsnotwendiges „Verwaltungsvermögen“ freigestellt wurde. Es seien nicht zu rechtfertigende gleichheitswidrige Gestaltungen zur Steuervermeidung möglich.

Verfassungsgerichtsurteil und Gesetzentwürfe

ver.di hat dieses Urteil begrüßt und gefordert: „Die verfassungswidrige Begünstigung von Betriebsvermögen muss beendet werden. Der Gesetzgeber ist jetzt gefordert, das Gesetz so zu reformieren, dass künftig auch die Multimillionäre und Milliardäre entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zur Erbschaftsteuer herangezogen werden. Dies ist notwendig, um die offensichtliche Steuerungerechtigkeit zu beseitigen“ (PM vom 17.12.2014). Eine ausführliche Positionierung liegt vor mit den ver.di Wirtschaftspolitik Informationen Dezember 2014. ver.di beteiligte sich im Folgenden auch an Aktionen und Unterschriftensammlungen für eine gerechte Erbschaftsteuerreform, 2015 zusammen mit dem DGB und 2016 zusammen mit dem Netzwerk Steuergerechtigkeit, Attac und Campact.

Am 24. Juni 2016 beschloss der Bundestag nach langem Gezerre in der Großen Koalition eine Neuregelung. Dieser hat der Bundesrat aber zunächst nicht zugestimmt, weil mehrere von SPD, Grünen oder Linken (mit)regierte Länder weitere Kritik hatten und Mindereinnahmen und die Verfassungswidrigkeit auch der neuen Regelungen befürchteten. Die vom Verfassungsgericht gesetzte Frist einer verfassungskonformen Neuregelung bis 30. Juni 2016 wurde damit gerissen.

Am 22. September 2016 hat der Vermittlungsausschuss einen Kompromiss erzielt, mehrheitlich gegen die Stimmen der Linken und der grünen Bundestagsfraktion, aber mit Zustimmung des grünen Ministerpräsidenten Kretschmann. Am 29. September hat der Bundestag diesem Vermittlungsergebnis gegen die Stimmen den Linken und der Grünen zugestimmt. Die abschließend notwendige Zustimmung des Bundesrats ist für den 14. Oktober geplant. Es ist davon auszugehen, dass mit CDU/CSU, SPD und hinreichend vielen grün-mitregierten Länder eine Mehrheit dem Gesetz zustimmen und es damit endgültig beschließen wird.

Auch der neue Gesetzesbeschluss wird den Anforderungen an eine gerechte und der Leistungsfähigkeit entsprechende Besteuerung der Erben großer Unternehmensvermögen nicht gerecht. Auch künftig sind weitgehende Begünstigungen bis hin zur Möglichkeit völliger Steuerfreiheit vorgesehen. Als begünstigtes Vermögen zählen dabei auch große Aktienpakete, großes Immobilienvermögen in Form einer Wohnungsgesellschaft sowie land- und forstwirtschaftliches Vermögen. Es geht im Kern nicht um mittelständisch geprägte „Familienunternehmen“, sondern um die reichsten Familien der Republik, deren Vermögen regelmäßig ganz überwiegend in Formen von Betriebsvermögen vorliegt.

Über 50 Milliarden Euro Steuerausfälle in fünf Jahren

In den vergangenen Jahren sind massiv steuerfreie Übertragungen von Unternehmensvermögen vorgenommen worden, 90 Prozent davon Schenkungen, um sicherheitshalber die bisher gültigen günstigen Regelungen zu nutzen. Die Steuerausfälle durch die Begünstigungen von Unternehmensübertragungen werden für die Festsetzungsjahre 2011 bis 2015 auf insgesamt gut 53 Milliarden Euro geschätzt. Ein Viertel der steuerfreien Übertragungen ging an Minderjährige, davon über 80 Prozent an unter 14-Jährige. 90 Kinder erhielten im Durchschnitt jeweils 327 Millionen Euro steuerfrei (vgl. DIW-Wochenbericht 36/2016, S. 813f.).

Die großen Vermögen und insbesondere Unternehmensvermögen sind zudem überwiegend bei Männern konzentriert. Die steuerlichen Begünstigungen für Unternehmenserbschaften und Schenkungen zementieren diese Ungleichverteilung und Benachteiligung der Frauen: Im Zeitraum 2011 bis 2014 wurden an Frauen nur gut halb so viel steuerfreie Unternehmensvermögen geschenkt wie an Männer. Auch bei hohen Erbschaften insgesamt waren Frauen benachteiligt.

Veränderte und neue Begünstigungen von Unternehmensvermögen

Die Möglichkeiten zur steuerfreien oder zumindest massiv steuerbegünstigten Übertragung von Unternehmensvermögen werden durch die Neuregelung nur geringfügig eingeschränkt und reduziert. Im Gegenzug zu Einschränkungen werden neue zusätzliche Begünstigungen eingeführt. Es ist daher zu erwarten, dass auch dieses Gesetz wieder vor dem Bundesverfassungsverfassungsgericht landen wird und es ist gut möglich, dass auch die neuen Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen erneut für verfassungswidrig erklärt werden. Die wichtigsten Neuregelungen sind:
Insgesamt hat die Unternehmerlobby bei der Neuregelung des Erbschaft- und Schenkungssteuergesetzes ihre Interessen weitestgehend durchgesetzt. Mehrbelastungen in einigen Fällen stehen zusätzliche Begünstigungen in anderen Fällen gegenüber, so dass in vielen Fällen auch geringere Steuern als bisher anfallen werden. Weitergehende Informationen zur Neuregelung und hypothetische Fallbeispiele finden sich im IMK Policy Brief September 2016 und der anhängenden Synopse. Grundsätzlichere Informationen und Hintergründe im entsprechenden Kapitel des IMK Report Nr. 114, Mai 2016.

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